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Jean-Christophe Ammann – Katalogtext till ‘Live Show II‘, Kunstmuseum, Luzern, 1977

SIVERT LINDBLOM

Sivert Lindblom, geboren am 1.11.1931, ist Bildhauer. Zu Beginn der sechziger Jahre schuf er Skulpturen in Holz und Kunststoff. Sie sahen u.a. aus wie die Balustradenstützen einer Renaissanceterrasse: er schuf ganze Serien davon, einerseits in einer Reihe geordnet, alternierend zwischen einem schmalen und einem breiten Element.

Bei genauerer Betrachtung konnte man feststellen, dass, die isolierten Gebilde ein menschliches Profil zeigten, in den Reihenskulpturen dagegen wurde der Umriss des menschlichen Körpers durch den Zwischen, raum gebildet. Es handelte sich stets um sein eigenes Profil, um seinen eigenen Körperumriss.
Die Skulpturen waren anonym, glatt und abweisend. Sie waren eine perfekte Metapher für die ’Kälte’ seiner Ideen, für eine Art von angereichertem Leer-Zustand, der nicht von innen her zu er läutern, nur von aussen zu umreissen war: durch eine Form, die a) nichts Originäres im Sinne der Erfindung offenbarte, b) mechanisch hergestellt wurde und sich c) durch eine ebenso lapidare Farbigkeit charakterisierte. Entsprechend dem Zeitgeist wurden diese Arbeiten allzu rasch als Ausdruck der Kunststoffeuphorie gesehen, etwa in der Perspektive der damaligen englischen Skulptur.

Als Lindblom Ende 1960 seinen Blick ausdehnte, wurde plötzlich klar, was die „Kälte“ seiner Ideen beinhaltete. Es schien, als blickte er in eine Welt, die er sehr genau registrierte, ohne sie zu verstehen. Es schien, als sähe er Gegenstände, ohne deren Bedeutung zu erkennen. Er entleerte nicht den Gegenstand seiner Bedeutung, er sah ihn ohne Bedeutung. Seiner in Einzelmomente entsprach gleichzeitig die Neutralisierung des durch das Wissen voreingenommenen Blickes. Liegt hier eine Methode (strukturalistischer Natur) vor oder macht den Zusammenhang bedeutungslos? Mir scheint, dass beide Seiten ineinanderwirken.

In dem Masse wie Lindblom die Welt der Dinge ihrer Bedeutung entkleidet sieht, in dem Masse lädt er sie (re) konstruierend mit Bedeutung auf. Aber dieses bedeutungsschaffende In-Verbindungsetzen erscheint denkbar hilflos. Sind die mit Seilen an Vierkantbalken geschnürten Äste — Teil seines Vokabulars seit Anfang 1970 — nicht allzu einsichtige Metaphern? Sie sind es dann, wenn man eingleisige Schlüsse daraus zieht: die Erkenntnis gleichsam vorausnimmt, ohne die Querverbindungen miteinzubeziehen, welche diese Erkenntnis relativieren.

Die sinn-losen Verbindungen und Beziehungen sind nur im Vergleich zu sinn-vollen relevant. Das heisst, sie sind in dem Masse sinn-los, als die sinn-vollen, entsprechend ihrer Ideologie, zum Spielball einer Rhetorik der Bedeutungen um ihrer selbst willen geworden sind. Lindblom deckt nichts auf, er schafft die äquivalente Gegenwelt. Assoziatives findet nicht statt. Denn die Objekte werden nicht inhaltlich als Gegensatz miteinander verbunden; die bedeutungsschaffende Verknüpfung ist in sich selbst gegensätzlich, weil sie den Zusammenhang der im Wahrnehmungs-prozess negiert. Ein solches Vorgehen scheint dem Zufall jede Möglichkeit offen zu lassen. Deshalb hat Lindblom eine Art Vokabular geschaffen: Grundelemente, Situationen, Perspektiven, welche den Ausgangspunkt. für die Konstituierung einer ’Welt’ darstellen. Sie erscheinen in und als Landschaftsausschnitte in immer neuen Konstellationen. Die Natur der Ausschnitte verweist auf eine unendliche Landschaft. Die Präzision, mit der seine Aquarelle und räumlichen Objekte geschaffen sind, ist weniger ein ästhetisches Moment als vielmehr Handhabe für Artikulation, Zusammenfügen, In-Beziehung-setzen von Gebilden, Situationen, Perspektiven. Die Präzision ist die Realität des Blickes, der die Realität der Gebilde und Verbände konstituiert.
– Anlässlich der Ausstellung ”Live Show” (1974, Moderna Museet, Stockholm) zeigte die Skulptur eines sitzenden Mannes mit angezogenen Beinen und geschlossenen Augen (der Künstler selbst) den mentalen Charakter des Environments.

Jean-Christophe Ammann.
Ausstellungen: Gal. Burén, Stockholm 1963/66/68;34.Biennale Venedig (schwedischer Pavillon) 1968;Kunsthalle Nürnberg, Kunsthalle Düsseldorf,Kunstverein Stuttgart, 1970; Gal. Gimpel 8 Hannover, Zürich 1971

SEHEN SIE Bilden von das Ausstellung hier: Live Show II